GedankenPlattform |
Wednesday, 21. April 2004
Fremdenfeinde: Strandgut deutscher Einheit
raspunicum
17:08h
Rechtsextremistische Gewalttaten in Erfurt, Dessau und Eisenach, aber auch in Ludwigshafen und Düsseldorf sind Anschläge auf die deutsche Zivilgesellschaft. Dabei war nach 40 Jahren die nationalsozialistische Vergangenheit in der alten Bundesrepublik doch bewältigt worden. Aber die alte Bundesrepublik gibt es seit zehn Jahren nicht mehr: Ostdeutschland gehört zur Bundesrepublik und ist kein exterritoriales Gebiet, das durch den „Aufbau Ost“ gesponsert wird. Ostdeutschland, wie es heute besteht, ist nicht mehr nur das Resultat des Zusammenbruchs einer maroden Diktatur, sondern auch Resultat von zehn Jahren bundesdeutscher Einheitspolitik. Denn es stimmt natürlich, dass der Rechtsextremismus auch im Osten seine Ursprünge hat. Nicht nur, dass der zur Staatsideologie erhobene Antifaschismus der DDR die Ostdeutschen von jeder persönlichen Auseinandersetzung mit dem Holocaust entband. Vielmehr brachten die autoritären Strukturen der DDR einen eigenen Extremismus hervor, zu dem auch Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit gehörten. Das immense Defizit an demokratischer Entwicklung im Osten zeigt jetzt seine Wirkung und schlägt nach zehn Jahren Einheit als Herausforderung an die Zivilgesellschaft in der neuen Bundesrepublik zurück. Im Osten fielen in den zehn Jahren die Angst vor allem Unbekannten und Fremden und die Fremdenfeindlichkeit mehr und mehr zusammen und bekamen eine politische Bedeutung, die auch auf eine nationalistische Selbstidentifizierung hinauslief. Um das „Eigene“ der kollektiven Selbstbestimmung in den Jahren nach der Vereinigung auszuprägen, wurde nicht nur eine neue Ostidentität erfunden. Man griff auch, eben um das Fremde abzuwehren, auf frühere (nicht nur nationalsozialistische) Formen des Antisemitismus und auch des klassisch-völkischen Nationalismus zurück. Dieser Rückgriff auf fremdenfeindliches Gedankengut beschränkt sich keineswegs auf ostdeutsche Randgruppen. Mit der Auflösung der alten Grenzen des Kontinents versucht man auch in Ländern wie Frankreich, Belgien oder England, die „Wohlstandsfestung Europa“ vor nicht-europäischen Fremden zu verteidigen. Was in Deutschland augenfällig bleibt, ist jedoch die Brutalität dieser Bewegung. So zählte der Verfassungsschutz schon letztes Jahr 746 gewalttätige rechtsextreme Ausschreitungen. Fast die Hälfte der Taten wurden in Ostdeutschland und Berlin begangen, obwohl dort nur 21 Prozent der Bevölkerung Deutschlands leben. Spätestens seit dem Anschlag auf russische Juden in Düsseldorf scheint sich eine neue Sensibilisierung deutscher Politiker durchzusetzen, die über die Äußerungen von „tiefen Entsetzen“ und „aufrichtigem Bedauern“ hinausgeht. War es dem Bürgermeister von Dessau noch ein „schwacher Trost“, dass die Totschläger nicht aus Dessau selbst kamen, so hat der Bürgermeister von Düsseldorf keine ähnliche Verteidigungsstrategie zur Imagespflege seiner Stadt geäußert. Nicht zufällig sprach Außenminister Joschka Fischer davon, dass die Rechtsextremisten ins Zentrum der Demokratie zielen und an die Unantastbarkeit der Menschenwürde. Es geht um mehr als nur darum, dass das Deutschlandbild im Ausland beschädigt ist, wenn der Ausdruck „German Skin“ nicht nur in Indien ein Begriff wird. Immerhin kann es nicht schaden, wenn sich jetzt auch die deutsche Wirtschaft gegen die Fremdenfeindlichkeit stark macht, um die für den weiteren ökonomischen Aufschwung notwendige Offenheit des Landes für ausländische Investoren und für ausländische Spezialisten zu gewährleisten. Umgekehrt bedeutet dies nicht, dass rechtsextremistischer Mord- und Totschlag in der neuen Bundesrepublik ohne Druck der Wirtschaft von den staatlichen Institutionen und ihren Repräsentanten langfristig geduldet worden wären. In jedem Fall geht der häufig bemühte Vergleich zu den späten zwanziger oder frühen dreißiger Jahren an der Sache vorbei. Damals waren Rechts- und Linksextremismus eine Massenbewegung, deren Anhänger sich Straßenschlachten lieferten und um die Vormacht im Land kämpften. Insofern ist die gute Nachricht, dass sich die Demokratie in der Bundesrepublik auch zehn Jahre nach der Einheit als stabil genug gegen ihre extremen Ränder zeigt. Die herumstreunenden Skinheads von heute sind zwar definitiv gemeingefährlich; und sei es als SA, sei es als Rotfront, sie wären damals dabei gewesen. Aber damals ist vorbei. Heute geht es um eine Randgruppe, die allerdings eine zweite Randgruppe, Ausländer, Obdachlose und jugendliche Punker zur Zielscheibe ihrer Aggressionen macht und dabei im Osten Deutschlands stillschweigend, oft auch nur widerwillig von vielen geduldet wird. Trotzdem kann von einer Stimmung „Heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt“ keine Rede sein. Bei den rechtsextremistischen Gewalttätern handelt es sich um Verlierer der Einheit mit dem politischen Verstand von nichtsozialisierten Jugendlichen – was allerdings an ihrer Gemeingefährlichkeit nichts ändert, im Gegenteil. Wenn sich darüberhinaus auch zehn Jahre nach der Einheit eine Mehrheit der Ostdeutschen als Bürger zweiter Klasse fühlt, ist das ein „Frustpotential“, das an die gesellschaftliche Substanz gehen kann. Die Schwierigkeiten bei der Bewältigung deutscher Einheit liegen, wie man heute weiß, auch an der naiv-arroganten Übertragung bundesdeutscher Verhältnisse auf die zusammengebrochene DDR. Der teils absichtlichen, teils unabsichtlichen Demontage realexistierender Ostwirtschaft folgte insgesamt eine bundesdeutsche Arbeitslosigkeit von zuvor nicht gekanntem Ausmaß. Selbst wenn Rezepte für die Bewältigung von Staatszusammenbrüchen nirgends zu bekommen waren – die Wirtschafts- und Währungsunion war gewiss „keine reine Erfolgsstory“ (Wolfgang Thierse). Die Marktübernahme 1990 trug zu dem Gefühl der Ungleichheit, aber auch zu „Unterwerfungshaltungen“ bei und förderte jene „Systemfeindschaft“, die zu Aktivitäten am rechten Rand der Gesellschaft beitrug. „Wir brauchen ein neues Leitbild der deutschen Einheit“, forderte Thierse – und bekam nur geteilten Beifall. Ohne einen tatsächlichen Aufschwung Ost wird das allerdings nicht zu haben sein. Ohne das staatsbürgerliche Engagement für den Erhalt der Zivilgesellschaft in der neuen Bundesrepublik aber auch nicht.
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